Das Jahr war geprägt vom Ukraine-Krieg. Mit der ersten Flüchtlingswelle im März und April 2022 hat die Schule schnell und pragmatisch eine zweite Integrationsklasse eröffnet. Mit ins Boot holte sie mit Silvia Andrés eine pensionierte Lehrperson, die bereits Erfahrung mit DaZ-Unterricht (Deutsch als Zweitsprache) hatte, und Olga Ignatova, eine ukrainische Deutschlehrerin, die auch Anfang März aus Kiew in die Schweiz geflüchtet war. Olga Ignatova unterrichtete jeweils an den Nachmittagen die ukrainischen Kinder, und Silvia Andrés übernahm in beiden Klassen ein Teilpensum. Insbesondere am Anfang war Olga Ignatova eine ganz wichtige Stütze für die ukrainischen Familien und auch für die Lehrpersonen. Sie war nicht nur Übersetzerin für alle anstehenden Fragen, sondern auch Kulturvermittlerin. Es gab immer wieder Situationen, die mit einer schnellen Klärung eines Sachverhalts in der Muttersprache von Vorteil waren. Zudem fühlten sich die Kinder in der Gegenwart von Olga Ignatova schneller heimisch und es half ihnen, die Entwurzelung leichter zu verarbeiten. Sich ohne Sprache in einem neuen Land, einer neuen Schule und einer anderen Kultur zurechtfinden, ist für alle Kinder der Integrationsklasse eine Meisterleistung. Das Heimatland und Familienangehörige unter den Umständen eines Krieges verlassen zu müssen, kann für Kinder verstörend und traumatisierend wirken.
Die ukrainischen Kinder sind seit April in beiden Klassen zahlenmässig am stärksten vertreten. Aktuell sind in der Integrationsklasse Primar 6 von 9 Kindern aus der Ukraine, in der Oberstufenklasse 5 von 9. Sie haben so die Möglichkeit, sich in ihrer Sprache auszutauschen. Mitschülerinnen und Mitschüler, die bereits länger hier sind, übernehmen gerne die Rolle des Dolmetschers. Allerdings gibt es auch Kinder, die darum schnell auf ihre Muttersprache ausweichen. Die Lehrpersonen machen die Erfahrung, dass das tägliche Deutschtraining in unbeaufsichtigten Unterrichtssituationen oder auch auf dem Pausenplatz dadurch wegfällt und sich der Spracherwerb dadurch leicht verzögern kann.
Seit den Herbstferien konnten schon einige Kinder in eine Stammklasse teilintegriert werden. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet dies ein weiterer Schritt Richtung Integration. Sie verlassen den sicheren Hafen der Integrationsklasse und müssen sich in der Stammklasse zurechtfinden. Dieser Wechsel fordert die Kinder am Anfang sehr, erlaubt ihnen auch wieder ganz neue Möglichkeiten. Sie können mit gleichaltrigen Kindern neue Kontakte und Freundschaften knüpfen, die für den Deutscherwerb eine wesentliche Rolle spielen. Wir erleben motivierte Kinder, die ein neues Ziel vor Augen haben und bei vielen entsteht der Wunsch, bald in die Stammklasse wechseln zu dürfen. Bei der Teilintegration kommt hinzu, dass die Schülerinnen und Schüler oft zum ersten Mal so richtig mit dem Schweizerdeutsch in Kontakt kommen.
Obwohl Rorschach und die umliegenden Gemeinden Rorschacherberg, Goldach, Thal und Rheineck mit einer weiteren grossen Flüchtlingswelle rechneten und eine enge regionale Zusammenarbeit vereinbarten, ist diese Welle nicht eingetreten. Es musste bis Ende Jahr 2022 keine weitere Integrationsklasse eröffnet werden. Im Gegenteil – zwischen Sommer und Herbst sind aus den beiden Integrationsklassen in Rorschach vier Schülerinnen und Schüler mit ihren Müttern in die Ukraine zurückgereist.